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Review 39. Symposium in Stockholm


Verwerfungen! – Weltwirtschaft unter geänderten (Rahmen-) Bedingungen

 „Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune“ (Johann Wolfgang v. Goethe) - kaum treffender lässt es sich beschreiben, als im Zuge des 39. SOWI-Postgraduate Wirtschaftssymposiums, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des SOWI-AV in der Bibliothek der KTH Stockholm zusammenkamen, um über die Verwerfungen in der Weltwirtschaft zu debattieren.

Beginnend mit den Grußworten des Vorsitzenden des SOWI-AV, KoR Mag. Volker Pichler, und des Dekans der SOWI-Fakultät, Univ.-Prof. Dr. Thomas Foscht, wurden die Anwesenden aufgefordert, einen Schritt zurückzutreten und sich ein Gesamtbild unserer globalisierten Welt zu machen.

Um Zusammenhänge und geschichtliche Entwicklungen zu verstehen, vermittelte Em. Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer den Teilnehmenden zuallererst einen Eindruck über Systembrüche in der Wirtschaft, indem er einen Streifzug durch die Wirtschaftsgeschichte darbot. Ausgehend von Werner Sombart, der den Begriff des Wirtschaftssystems in Geist, Ordnung und Technik unterteilte, wurden die Kennzeichen des Früh-, Hoch- & Spätkapitalismus erläutert. Wohlgemerkt war auch die Entstehung des Kapitalismus kein radikaler Systembruch, sondern ein schleichender Wandel, der sich erst im Nachhinein zeitlich einteilen lässt. Natürlich gab es schon immer einschneidende Ereignisse, die zu Umbrüchen geführt haben, sei es nun die Revolution von 1848, die Weltwirtschaftskrise 1929, oder die beiden Weltkriege, aus denen resultierend es 1918 und 1945 zu großen Veränderungen in den bisherigen Wirtschaftssystemen gekommen ist. Vor allem seit Ende des zweiten Weltkrieges wird auf Globalisierung und eine geordnete Weltwirtschaft gesetzt. Nicht zuletzt, so Professor Schöpfer, seien die industriellen Revolutionen festgehalten und, dass die sogenannte vierte industrielle Revolution gerade stattfindet. Die Digitalisierung schreitet im Eiltempo voran und noch ist nicht absehbar, welche Folgen für die Menschheit daraus resultieren werden. Der quartäre Sektor nimmt rasch zu, während primärer und sekundärer Sektor immer mehr sinken. Ob die Auswirkungen der Technologisierung aktuelle Probleme wie Ressourcenknappheit, Überbevölkerung oder Klimawandel bewältigen können, bleibt vorerst abzuwarten.

Einen Fokus wohin denn die Weltwirtschaft treibe, setzte Ao. Univ.-Prof. Dr. Karl Farmer in seinem Vortrag. Dazu stellte er die Frage voran, ob die Globalisierung denn am Ende sei oder wieder zurückgekehrt ist. Fest steht jedenfalls, dass es einen Stillstand bei multilateralen Handelsrunden gibt und eine Desintegration des Welthandels. Es bleibt jedoch hervorzuheben, dass sich die Globalisierung nur verlangsamt habe und nicht vollkommen am Ende sei. Die wachstumstreibenden Kräfte, betonte Professor Farmer, seien stärker als die wachstumshindernden. Die Konjunktur ist der Treiber der Weltwirtschaft, abzulesen am weltweiten Bruttoinlandsprodukt und am Welthandel. Es sei zu berücksichtigen, dass weniger entwickelte Länder schneller wachsen, als entwickelte, dies sei ein Vorteil der Rückständigkeit. Ein Blick auf die Prognosen der kurzfristigen Entwicklung zeigt, dass der Welthandel schneller wächst als das weltweite Bruttoinlandsprodukt, was, laut Professor Farmer, ein Indikator dafür sei, dass es der Weltwirtschaft gut geht. In der heutigen, globalisierten Welt gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Welthandel und Investition, der durch die weltweit vernetzten Wertschöpfungsketten veranschaulicht wird. Laut Prognosen, wird der Handel zwischen China und der USA weiterhin dominierend sein, trotz protektionistischer Avancen der USA in der vergangenen Zeit. China wird zur stärksten Wirtschaftsmacht aufsteigen, der Handel in der Pazifikregion insgesamt wird intensiviert und es kommt wiederum vermehrt zu intersektoralen Handel. Abschließend stellte Professor Farmer somit fest, dass die Globalisierung nur pausiert habe, nicht jedoch zu Ende sei.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Richard Sturn griff als nächstes Thema die politische und wirtschaftliche Situation Europas auf. Vorneweg stellte er fest, dass die EU ein Vorzeigeprojekt sei, das grenzübergreifend Probleme durch transnationale Kooperation bewältigen könne, die EU in ihrer jetzigen Situation jedoch nicht überlebensfähig sei. Ein Zerfall würde viele negative Effekte hinter sich ziehen, unter anderem, dass Europa kein geopolitisches Gewicht mehr haben würde. Vergleichend zeigte Professor Sturn die vier Freiheiten der EU auf (men, goods, capital, services), die auch schon Hayek in seinen Schriften erwähnte. So erwähnte auch Hayek schon 1939, dass eine gemeinsame Außen- Verteidigungspolitik sowie eine gemeinsame Geld- und Währungspolitik von Nutzen seien und ökonomische Integration notwendig sei. Die Entwicklungen in letzter Zeit zeigen, dass der Nationalismus wiederum erstarke, was, laut Professor Sturn, die Frage aufwirft, ob denn die Bevölkerung zu „unreif“ sei für die EU. Es zeigte sich schon öfters, dass Modelle nicht zum Entwicklungsstand der Bevölkerung passten und es daher auch denkbar sei, dass die EU eigentlich ein Elitenprojekt ist. Auch hat sich gezeigt, dass Integration ohne Sozial- und Ordnungspolitik Missstände schafft und, dass es nicht genug sei, solche problematischen Zeiten einfach „auszusitzen“. Schließlich konstatierte Professor Sturn, dass ohne Kombination von Positivsummenlogik und Sozial- und Ordnungspolitik die EU nicht überleben könne.

Daran anschließend präsentierte Dr. Claudia Unger die Idee der Sozialunion Europa. Diese wird geprägt von Solidarität und Innovation und soll zur Sicherung des Friedens am Kontinent Europa beitragen. Dies sei jedoch eine große Herausforderung, gerade in Zeiten, in denen Populismus wiederum zu einer immer größer werdenden Gefahr wird. Die EU zerreibe sich an ihrem Problem der Einheitlichkeit, stellte Frau Dr. Unger fest. Die soziale Säule der EU soll moderne Sozialsysteme in der EU garantieren und umfasst dabei 20 Punkte. Zwei davon hob Frau Dr. Unger besonders vor: Chancengleichheit und Mindestlohn. Es müsse darüber hinaus ein Perspektivenwechsel herbeigeführt werden und Diversität gefördert werden, schon beginnend bei den Jungen mit Programmen wie beispielsweise „Erasmus“, Schüleraustausch, Transregio-Projekten und Städtepartnerschaften. Ein weiterer wichtiger Faktor zur Sicherung der sozialen Gerechtigkeit in der EU sei Nachhaltigkeit, weg von Gas und Öl, hin zu erneuerbaren Energien. Ein letzter Punkt, den Frau Dr. Unger ansprach, war das bedingungslose Grundeinkommen. Es gebe leistbare Modelle, die jedenfalls anzudenken und zu implementieren wären.

Über Schwedens Positionierung in der EU referierte als nächstes MMag. Dr. Arthur Winkler-Hermaden, österreichischer Botschafter in Stockholm, und stellte gleich zu Beginn fest, dass das EU-Bewusstsein der Schweden von dem der Österreicher differiert. Nicht zuletzt, weil Schweden nach wie vor eine Monarchie ist und Österreich eine Republik. Die Schweden seien immer einen Tick voraus, offen für Neues und glauben an den Fortschritt. Natürlich solle die EU nicht als Verteilungsunion agieren und dementsprechend auch keine Steuern seitens der EU eingehoben werden. Die Schweden haben ein vollständiges Bekenntnis zur Modernisierung, und auch die Gewerkschaft bzw. die Sozialpartner arbeiten daran mit, des Weiteren wird die Gleichstellung in Schweden großgeschrieben. Auch, so stellte Botschafter Winkler-Hermaden fest, will Schweden eigene Überzeugungen anderen aufzwingen und gibt dafür auch 1% des BSP für Entwicklungshilfe aus, welche jedoch an spezifische Auflagen gebunden sei. Als offenes Land hat Schweden in der vergangenen Zeit starke Einschnitte in der Immigrationspolitik setzen müssen, um den Zuzug zu beschränken und setzt sich seitdem für eine EU-weite Lösung und Quotenverteilung innerhalb der EU ein. Abschließend brachte Botschafter Winkler-Hermaden den Anwesenden noch näher, dass Schweden sehr transparent sei und diese Transparenz auch oft dazu führe, dass die Bevölkerung zur Denunziation aufgefordert werde.

Der Management-Zugang der Schweden wurde von Uni Graz-Absolvent und Auslandsösterreicher Mag. Christoph Kircher, MSc erläutert, der als Geo-Informatiker in Schweden tätig ist. Zunächst wurde Einsicht gegeben in die Gewerkschaft Schwedens, die auch Kollektivverträge vereinbart. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen, erzählt Mag. Kircher, sind geprägt durch eine flache Organisationsstruktur und eine familiäre Atmosphäre, es herrsche grundsätzlich das „Du“-Wort und die Schweden sind nicht sehr auf ihre Titel bedacht. Besonders bemerkenswert sei die schwedische „Fika“, eine Art Kaffeepause, die mehrmals pro Tag abgehalten wird. Generell sei die schwedische Zusammenarbeit sehr konsensorientiert und zeitflexibel. Den Mitarbeitenden werde gleichermaßen Verantwortung übertragen, was natürlich Vor- und Nachteile hat, denn oft zeigen einige mehr Engagement, wohingegen andere nur Trittbrettfahrer sind.

Dr. Peter Riedler zeigte im Anschluss die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Forschung in Skandinavien und Österreich auf. Bildung habe in Nordeuropa grundsätzlich einen hohen Stellenwert und der Unizugang ist auch kostenlos, jedoch gebe es größtenteils eine Elitebildung, da es sehr schwierige Aufnahmeverfahren an den einzelnen Hochschulen gebe. Auch in den skandinavischen Ländern wird die Studienplatzfinanzierung versiert, in Nordeuropa gebe es jedoch höhere öffentliche Bildungsausgaben als in Österreich. Auch die Anzahl der Akademiker und Weiterbildungen ist höher und Vizerektor Riedler hielt fest, dass die skandinavischen Länder sehr innovativ seien und eine konsequente Standortpolitik verfolgen würden. Abschließend resümierte er, dass ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der nordeuropäischen Länder auch die Akzeptanz der Bevölkerung sei und das hohe Maß an Pragmatismus.

Den letzten Vortrag hielt der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Stockholm, Mag. Dr. Albrecht Zimburg, der die bilateralen Aspekte der Wirtschaftsbeziehung zwischen Österreich und Schweden veranschaulichte. Zu Beginn wies Herr Dr. Zimburg darauf hin, dass österreichische Unternehmen keinesfalls die Schweden vernachlässigen dürfen, alleine schon im Hinblick auf die riesige Landmasse Schwedens und dessen wettbewerbsfähige Wirtschaft. Vergleichbar mit Österreich habe auch Schweden in jüngster Vergangenheit ein wesentliches Problem durch Zuwanderung, das beide Staaten vor große Herausforderungen stelle. Abgesehen davon sind Schweden und Österreich zwei hochentwickelte Handelspartner. Ungefähr 107 Niederlassungen österreichischer Unternehmen gibt es in Schweden, die die hohen Qualitätsvorstellungen der Schweden erfüllen können. Festzuhalten sei, so Dr. Zimburg, dass das Preisniveau in Schweden sehr hoch sei, es eine hohe Kaufkraft gebe, jedoch die Mentalität der Schweden eher zu regionalen Einkäufen tendiere. Bei Verhandlungen lasse sich feststellen, dass die Schweden sehr konfliktscheu sind und nach einer zähen Verhandlungsrunde eher zurückweichen, als einen Vertragsabschluss besiegeln.

Im Anschluss an diese hochkarätigen Vorträge mit anschließenden Diskussionen, lud der Herr Botschafter noch zu einem Glas Wein ein, bei dem sich die Anwesenden noch über den üppigen Informationsgehalt dieses Tages austauschen konnten und darin übereinkamen, dass große Herausforderungen auf uns zukommen, die jedoch auch einzigartige Chancen und Möglichkeiten eröffnen.

Text: Johannes P. Zeiringer, BSc
Fotos: Mag. Paulus Mayr

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